Freitag, 22. Januar 2010

Der Flug der Jung-Elstern- eine Fabel

Vor gar nicht allzu langer Zeit soll sich Folgendes zugetragen haben:
In der klaren und frischen Luft eines Bergdorfes lebten ganz viele junge flugtalentierte kleine Vögel. Das Lieblingshobby der Kleinen wie auch der großen Vögel ist es, möglichst trickreiche und waghalsige Flugformationen zu bilden. In der Vogelwelt werden deswegen internationale wie nationale Flugformationsmeisterschaften ausgeflogen.
In jenem Bergdorf war die Krux, dass die talentiertesten der heimischen kleinen Vöglein von den großen mächtigen Vogelvereinen der großen Stadt abgeworben wurden. Bis eines Tages ein pfiffiger Spatz von dem Kirchturm des idyllischen Ortes pfiff: Der Vogelverband hat jetzt im Kükenbereich Zusammenschlüsse erlaubt, warum bieten wir unseren besten jungen Flugkünstlern nicht eine Alternative, so dass sie statt in die Ferne fliegen, hier bei uns bleiben.
Und so geschah es, dass sich alle umliegenden Formationsvereine zusammen schlossen. Da der traditionsreichste Verein von Elstern geleitet wurde, war der Vereinsname schnell gefunden:
KFFV( Kükenformationsfördervein) Jung-Elstern.
Da ein Mitgliedsverein des KFFV, der an einem großen Strom seine Lufthoheit besaß, bisher mit seinen fast schon erwachsenen Vögeln in der zweithöchsten Formationsliga flog, konnten auch die Jung-Elstern in dieser Liga flattern. Aber auch in den jüngeren Vogeljahrgängen konnten viele Formationen gebildet werden.
Das erste Jahr dieser Gemeinschaft war sehr erfolgreich. Sogar der Star-Formationsverein über der Müllverbrennungsanlage, der in der höchsten Liga fliegt, konnte an einem berauschenden abend im Pokal bezwungen werden.
Doch die Gründervögel stritten sich mehr und mehr. Kurz bevor die zweite Flug-Saison los ging, teilten zwei der drei Mitgliedsvereine schon wieder ihren Austritt mit. Das Flugprojekt schien gescheitert. Doch der Obervogel des Kükenformationsförderverein wollte seine Idee und das Projekt nicht so leicht aufgeben. Er gründete mit unmittelbaren Nestnachbarn schnell einen weiteren Verein. Doch dieses wurde vom Vogelverband nicht anerkannt, da dieser neue Verein noch keine eigene Kükenabteilung besaß. Die Zeit lief davon. Doch der Obervogel war geschickt und wie besessen für seine Sache zu kämpfen. Da fiel ihm ein, dass sein Vogelbruder, der selber mal ein ausgezeichneter Formationsflieger war, doch mit seinem Verein schnell noch dem KFFV beitreten könne. So geschah es und alles schien gut.
Die kleinen Vöglein konnten in ihre zweite Saison gehen.
Viele Schmutzfinken, die schon das Ende herbeisehnten waren enttäuscht, dass es nun doch mit dem Konkurrenten weiterging. Sie hatten auf den Laternenmasten immer wieder gezwitschert, wie zwielichtig doch der Obervogel sei und prophezeihten dem KFFV keine lange Zukunft mehr.Die Geier kreisten.
Und sie sollten recht behalten, denn die Vögel sind nun mal unterschiedlich. Die einen sind recht einfach gefiedert, die anderen blickten von ihren Bäumen auf einen weiteren Horizont. Zur letzteren Gattung gehörten die Verantwortlichen der älteren Küken. Der Vogeltrainer, ein Habicht, hatte einen höheren Anspruch an sein Trainerdasein. Zum einen sollten seine Schützlinge flugtechnisch gut ausgebildet werden, zum anderen sollen die talentierten Flugkünstler auch was für ihr weiteres Vogeldasein mitbekommen. So machte er z.B. als Vorbereitung zur neuen Saison einen Ausflug in den hohen Norden zu einem der größten Formationsvergleichswettflüge.
Mit diesem Anspruch konnte der Obervogel wenig anfangen. Auch sonst waren sich beide nicht sympathisch. Der eine fand dass der Habicht seinen Schnabel zu hoch zur schau stellte. Der Habicht befand den Obervogel schon immer als Leichtgefieder, der wenig bis gar kein Konzept besaß. Anstatt miteinander zu reden, kappelten sich beide.
Der Obervogel vernachlässigte von Tag zu Tag mehr das eigentliche Tagesgeschäft wie Vereinsführung und Talentförderung, doch nach Außen verbreitete er Visionen. Habicht stichelte. Irgendwann fühlte sich Obervogel enttarnt und bloßgestellt.Ab sofort wollte er den schlauen Habicht um alles in der Vogelwelt loswerden.
Als die Gänse schon längst gen Süden über das Bergdorf zogen , platzte ihm endgültig der Schnabel. Er und seine Vorstandsfreunde entließen den Habicht. Doch Habicht war sehr beliebt aufgrund seiner sympathischen Art. Er war für viele Flugkünstler wie ein Vater. So verwunderte es auch nicht, dass alle Sprößlinge sich solidarisch erklärten. Unter einem anderen Trainer wollten sie nicht mehr fliegen. Obervogel drohte den jungen Vögeln mit langen Flugverboten. Doch die Jung-Elstern blieben stark. Brieftauben verbreiteten die Nachricht des Flugstreiks in alle Lüfte. Dadurch sah sich Obervogel und seine Vorstandskollegen immer mehr in die Ecke gedrängt. Geschäftlich musste er dann das Bergdorf für eine Woche verlassen und flog über den großen Teich. Jetzt besannen sich die beiden anderen Vorstandsvögel eines Besseren und gaben dem Druck, den mittlerweile auch die Eltern der Talente ausübten, nach. Habicht wurde wieder eingestellt. In der Habichtfamilie brach Euphorie aus, Obervogel hingegen war tief verletzt. Am letzten Tag des Vogeljahres schmiss er scheinbar entnervt die Flinte ins Nest. Er trete von allen Ämtern zurück, ließ er verlautbaren. Doch wer Obervogel kennt, weiß, so schnell gibt dieser Vogel nicht auf.
Mittlerweile hat hoher Schnee die Landschaft überzogen. Als ob die erschwerte
Vogelfuttersuche nicht Herausforderung genug wäre.. In diesem Moment hätte man sich gewünscht, eine Fee käme zu Obervogel und hätte ihm ins Ohr geflüstert: „Lass gut sein Obervogel, Du hast den Kükenförderverein ins Leben gerufen, Du hast ihn am Leben erhalten, nun zerstöre nicht alles selber, lass gut sein, Obervogel!“
Doch in diesen kalten Tagen war keine Fee zugegen. Obervogel zog alle Register und berief seine engsten Vertrauten in den Vorstand des KFFV ein. Jetzt hatte man wieder eine Mehrheit und entließ zum zweiten mal Habicht. Gleichzeitig wurde der Fluggefährte des Wirtes der Elstern-Tränke zum neuen Trainer bestimmt. Doch welch Wunder, die Reaktion auf diese Entscheidung war noch heftiger als beim ersten mal.
Auch der Lehrer der ortsansässigen Vogelschule, der zugleich auch die erwachsenen Elstern des Traditionsvereins flugtechnisch perfektionierte, stellte sich jetzt öffentlich auf Seiten von Habicht . Da auf sein Gezwitscher alle über den Bergdorf hörten, wurde es noch einsamer um Obervogel herum. Außerdem wurden auch die Temperaturen immer eisiger. Doch in der Ferne hörte er munteres Gepiepse. Er sah junge Vöglein trotz eisiger Kälte erste Flugübungen machen. Da erinnerte er sich an seine ersten Flugversuche. Es war noch nicht zu spät...

Tim Scharfenberg
Redaktion 85live

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